03.09.2024 - Vererbte genetische Varianten, die in bestimmten Genen einen Defekt verursachen, sind die Ursache der autosomal dominanten tubulointerstitiellen Nierenerkrankungen (ADTKD). Die ADTKD wird als monogene Erkrankung eingestuft, da die Erkrankung in einer Familie in der Regel von einer einzigen Variante ausgelöst wird. Allerdings kann es innerhalb einer Familie erhebliche Unterschiede geben, wann die Krankheit ausbricht und wie schnell sie zum Nierenversagen führt. Wissenschaftler suchen schon seit geraumer Zeit nach Erklärungen für diese unterschiedlichen Krankheitsverläufe. Eine mögliche Ursache dafür sind sogenannte modifizierende Gene.
Die neuesten Erkenntnisse zu solchen modifizierenden Genen bei tubulointerstitiellen Nierenerkrankungen (TKD), darunter die ADTKD, werden in einer britischen Übersichtsarbeit zusammengefasst. Die Autoren betrachten die Vorstellung, dass ein einziges Gen einen Krankheits-Phänotyp (Erscheinungsbild) bestimmt, als veraltet. Die strikte Trennung von monogenen Krankheiten (die krankheitsverursachende Mutation liegt auf einem Gen und hat einen starken Effekt) und polygenen Krankheiten (viele häufige Varianten in verschiedenen Genen mit jeweils kleinem Effekt führen zur Erkrankung) wird daher von ihnen kritisiert. Vielmehr gebe es deutliche Hinweise darauf, dass die TKD durch eine Vielzahl von Modifikatoren beeinflusst werden kann. Dies kann sowohl durch Umwelteinflüsse als auch durch zusätzliche Gene geschehen.
Modifizierende Gene sind nicht notwendig, um die Krankheit zu verursachen, aber sie beeinflussen den Phänotyp auf unterschiedliche Art und Weise. Die Ausprägung und Funktion eines anderen Gens kann auf mehreren Ebenen beeinflusst werden. Dazu zählen die Transkription (das Ablesen von DNA-Informationen und die Umwandlung in eine neue Messenger-RNA) sowie die Wechselwirkung von Proteinen auf molekularer und Zellebene. Dadurch können genetische Modifikatoren die Penetranz (Wahrscheinlichkeit, dass eine Veränderung zu einem Phänotyp führt) und den Ausprägungsgrad einer Erkrankung beeinflussen und sowohl verstärkend als auch unterdrückend wirken.
Ein Phänotyp kann nicht nur durch Modifikatoren in anderen Genen verändert werden, sondern auch durch weitere Varianten, die im selben Gen wie die ursächliche Mutation vorkommen. Nach dem aktuellen Stand des Wissens gilt dies auch für die ADTKD-Unterformen UMOD und MUC1.
Es wird vermutet, dass eine in der Allgemeinbevölkerung relativ häufig vorkommende Variante (rs4293393) im verursachenden UMOD-Gen die Expression des Proteins Uromodulin bei der Unterform ADTKD-UMOD verringert. Eine Untersuchung von 147 ADTKD-UMOD-Familien ergab, dass diese Variante auf dem Allel mit der krankheitsverursachenden Mutation weniger häufig vorkommt als erwartet. Da es die Produktion des mutierten und damit krankheitsverursachenden Uromodulins herunterreguliert und damit vermutlich einen milderen Phänotyp verursacht, hat diese Variante in Kombination mit einer Mutation wahrscheinlich einen schützenden Effekt.
ADTKD-MUC1 wird am häufigsten durch die Einfügung einer zusätzlichen Base in einen bestimmten Genabschnitt (VNTR) verursacht. Dadurch kommt es zu einer Verschiebung (Frameshift) der Erbinformation, sodass diese nicht mehr korrekt abgelesen wird. Diese Form ist aufgrund der sich wiederholenden Basenabfolge in der VNTR-Region mittels aktuellen Sequenzierungsmethoden sehr schwer zu untersuchen, weshalb ADTKD-MUC1 wahrscheinlich unterdiagnostiziert wird.
Eine Variante (rs4072037) in MUC1, die in der Bevölkerung weit verbreitet ist, bewirkt die Kodierung von Signalpeptiden mit verschiedenen Längen und unterschiedlichen Mucin-1-Serumspiegeln, abhängig vom Genotyp. Die Mucin-1 (CA15-3)-Spiegel im Plasma von ADTKD-MUC1-Patient*innen und Kontrollpersonen wurden kürzlich untersucht. Es wurde festgestellt, dass der Genotyp rs4072037 nicht allein die Unterscheidung zwischen betroffenen und nicht betroffenen Personen verbesserte. Die Verfasser vermuteten, dass dies dadurch erklärbar sein könnte, dass der VNTR unterschiedlich lang ist und es keine Informationen darüber gibt, auf welcher Genkopie die Variante liegt. Neue Sequenziermethoden, die die Länge und Phase (Lage der häufigen Variante in Relation zu der familiären Mutation) bestimmen können, werden vom kürzlich geförderten europäischen Konsortiums “ADTKD-Net” verwendet, um diese Variante und den Einfluss auf den Phänotyp weiter zu untersuchen.
Auch bei Patienten mit ADTKD-HNF1B ist eine bemerkenswerte Vielfalt an Krankheitsbildern zu beobachten, die von einem raschen Nierenversagen bis zu einem nahezu asymptomatischen Verlauf reichen. Die verschiedenen Krankheitsverläufe könnten darauf zurückzuführen sein, wie sich HNF1β auf die Transkription vieler anderer Gene auswirkt. Darüber hinaus sind verschiedene HNF1B-Mutationen mit verschiedenen Nierenerkrankungen verbunden, darunter Kopienzahlveränderungen (Verlust/Zugewinn genetischen Materials) oder kleine Variationen, die einen Proteinverlust oder die Ersetzung einzelner Proteinbausteine zur Folge haben. In der betroffenen chromosomalen Region 17q12 befinden sich 14 benachbarte Gene, die eventuell eine gewisse Variabilität zwischen CNV-Trägern ausmachen. Bei den meisten HNF1B-Patient*innen ist eine Haploinsuffizienz zu beobachten, was zu einer Verringerung der HNF1β-Proteinaktivität um ca. 50% führt. Je nach den modifizierten Faktoren kann diese jedoch höher sein und sogar in der Nähe einer möglicherweise krankheitskritischen Schwelle liegen. Diese Modifikatoren werden durch das Konsortium „ADTKD-Net“ gesucht.
Die Diagnose und Therapie von TKD könnten durch ein besseres Verständnis der Funktionsweise solcher Modifikatoren verbessert werden. In der Zukunft könnten maßgeschneiderte Behandlungspläne entwickelt werden, die auf der individuellen genetischen Ausstattung einer Person beruhen, darunter die primäre Variante und die Modifikatorgene.
Um ein besseres Verständnis ihrer Funktion bei TKD zu erlangen, fordern die Autoren eine weitere Untersuchung der genetischen Modifikatoren. Durch die breite Anwendung neuer Genomtechnologien könnten tiefergehende Erkenntnisse über die Entstehung und den Verlauf dieser Krankheiten gewonnen werden.
Fachliche Beratung: Dr. Bernt Popp, Berlin Institute of Health at Charité
Quellen: