Genetische Testung muss besser etabliert und vergütet werden

ADTKD Vision Cure beim Nephrologiekongress 2023

ADTKD Vision Cure beim Kongress der DGfN 2023

4.11.2023 - Schwerpunkte des diesjährigen Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) in Berlin waren molekulare Therapien und individualisierte Medizin. Diese Themen sind insbesondere für seltene Nierenerkrankungen relevant, da diese häufig durch genetische Veränderungen verursacht werden, die Zielstrukturen für potenzielle Therapien darstellen. Eine der häufigen unter den seltenen hereditären Erkrankungen ist die ADTKD – Autosomal Dominante  Tubulointerstitielle Nierenerkrankung.


Sie lesen die Version für Fachkreise. Diesen Bericht gibt es hier in einer Version für PatientInnen.


Seit knapp zwei Jahren gibt es ADTKD Vision Cure, eine Organisation für Patientinnen und Patienten mit ADTKD. Erstmals war sie beim DGfN-Kongress 2023 mit einem eigenen Poster vertreten. Das Ziel: Awareness bei Nephrologinnen und Nephrologen schaffen.

 

ADTKD ist eine relativ „junge“ Erkrankung. Die zugrunde liegenden Mutationen wurden erst 2013 entdeckt und die Krankheit als solche 2015 neu klassifiziert [1]. Zuvor war sie auch unter der Bezeichnung „medullär zystische Nierenerkrankung“ bekannt. Abhängig von der genetischen Ursache werden aktuell fünf Unterformen unterschieden, diese heißen entsprechend ADTKD-UMOD, ADTKD-MUC1, ADTKD-REN, ADTKD-HNF1B und ADTKD-SEC61A1. Die Sub-Entitäten UMOD und MUC1 kommen am häufigsten vor.


KLINISCHE ANZEICHEN UNSPEZIFISCH


Das Auffällige an ADTKD ist ihre relative Unauffälligkeit. Dies ist auch der Hauptgrund dafür, dass die Erkrankung häufig gar nicht oder falsch diagnostiziert wird. Expertinnen und Experten gehen daher von einer hohen Dunkelziffer aus. „In jeder nephrologischen Praxis gibt es eine ADTKD-Familie“, vermutet der US-amerikanische ADTKD-Experte Anthony Bleyer, der die Krankheit bisher am längsten erforscht. 


Erstes und häufig einziges Anzeichen ist ein – meist langsamer – Anstieg des Kreatininwertes. Im Urin finden sich selten Proteinurie oder Hämaturie. Die Nieren selbst sind normalgroß oder eher klein. Auch mittels einer Nierenbiopsie lässt sich die Diagnose nicht eindeutig sichern, häufig wird eine Fibrotisierung festgestellt. Diese entsteht durch die Ablagerung eines fehlerhaften Proteins in den Tubulus-Zellen, das akkumuliert und somit bestimmte Strukturen und Signalwege „verstopft“. In der Folge kommt es zu einer chronischen Niereninsuffizienz.


Die Krankheit wird autosomal-dominant vererbt, das heißt, das Risiko beträgt von einer zur nächsten Generation 50%. Die ADTKD weist sehr variable Verläufe auf. Obwohl innerhalb einer Familie derselbe genetische Defekt vorliegt, ist die Altersspanne hinsichtlich der Manifestation sehr breit und die Geschwindigkeit der Progression ebenfalls sehr unterschiedlich.


FLASCHENHALS DIAGNOSTIK


Die einzig sichere Methode zur Diagnosestellung ist ein Gentest. Insbesondere die Diagnose der Unterform MUC1 ist schwierig und mit einem hohen Aufwand verbunden. Eine der häufigsten MUC1-Varianten kann nämlich mit der Paneltestung bzw. Next Generation Sequencing (NGS) aus technischen Gründen nicht erfasst werden. Es handelt sich um die Insertion eines zusätzlichen Cytosins (dupC) in einer VNTR-Domäne des MUC1-Gens. [2]


In Deutschland gibt es aktuell zwei Labore in Erlangen und Mainz, die über die erforderliche SNaPshot-Technologie und entsprechende Kompetenz verfügen. Es ist daher sehr wichtig, bei einem klinischen Verdacht auf ADTKD möglichst den gesamten Prozess der genetischen Diagnostik von vornherein über eins der beiden Labore laufen zu lassen.


THERAPIE AM HORIZONT


Das Ziel von Vision Cure ist eine Therapie für ADTKD-Patientinnen und Patienten. Die Hoffnung darauf ist begründet. In präklinischen Untersuchungen wurde bereits eine potenziell wirksame Substanz identifiziert [3]. Internationale klinische Studien sind in Vorbereitung. Auch deutsche Patientinnen und Patienten sollen daran teilnehmen können. Koordinierendes Zentrum ist die Universitätsklinik Erlangen. Hier besteht bereits ein nationales ADTKD-Register, die Einrichtung eines europäischen Registers wurde beantragt.

TAKE-HOME-MESSAGES


Der Posterbeitrag unserer Patientenorganisation stieß auf großes Interesse. In den Gesprächen mit Nephrologinnen und Nephrologen kristallisierten sich folgende Erkenntnisse und Handlungsfelder heraus:

  • ADTKD ist als eine der häufigen hereditären Nierenerkrankungen bei vielen (niedergelassenen) Nephrologinnen und Nephrologen (noch) nicht bekannt. Hier braucht es mehr Aufklärung und Fortbildung.
  •  Sowohl phonetisch als auch klinisch wird die ADTKD oft mit der wesentlich bekannteren ADPKD (Autosomal Dominante Polyzystische Nierenerkrankung) verwechselt, obwohl es sich um grundsätzlich verschiedene Krankheitsbilder handelt. Zysten können bei ADTKD vorhanden sein, sind jedoch keinesfalls typisch.
  • Die erforderliche Diagnostik muss besser etabliert und vergütet werden. Die gesamte genetische Diagnostik sollte bestenfalls in einer Hand liegen, damit gesichert werden kann, dass auch die häufigste MUC1-Variante in der für Hochdurchsatzverfahren nicht erfassbaren VNTR-Region identifiziert wird. Ärztinnen und Ärzte wünschen sich hierfür einen standardisierten Algorithmus.
  •  Sofern eine Biopsie durchgeführt wurde, spielen Pathologinnen und Pathologen im diagnostischen Prozess eine wichtige Rolle, sie sollten daher zwingend interdisziplinär eingebunden werden.
  • Die Sektorengrenzen zwischen Klinik und ambulanter Versorgung können dazu führen, dass Patientinnen und Patienten mit Verdacht auf ADTKD „verlorengehen“, wenn sie nach der Entlassung aus dem stationären Setting nicht weiterverfolgt werden (können). 

Download: Poster ADTKD Vision Cure DGfN 2023

Praktische Hinweise zum Ablauf der genetischen Diagnostik bekommen Sie hier:


Universitätsklinik Erlangen

https://www.zsn.uk-erlangen.de


Medizinische Genetik Mainz

https://www.medgen-mainz.de


Literatur

1. Eckardt KU et al. Kidney Int 2015; 88: 676-83

2. Knaup KX and MS Wiesener Der Nephrologe 2019; 14: 112-119

3. Dvela-Levitt M et al. Cell 2019; 178: 521-535.e23

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